Mit Praxisbeispielen von Dr. med. M. Potocki, Herzpraxis Limmattal, 8953 Dietikon, Schweiz

Zusammenfassung

Die Analyse der HRV ist eine nicht-invasive Methode zur Bewertung des vegetativen Gleichgewicht des Herz-Kreislauf-Systems. Sie spiegelt die Reaktions- und Regenerationsfähigkeit des autonomen Nervensystems auf unterschiedliche Reize wider. Heute wird die HRV-Analyse vor allem in zwei klinischen Bereichen eingesetzt: In der Kardiologie zur Risikostratifizierung nach Myokardinfarkt und in der Diabetologie bei der Risikobewertung einer kardiovaskulären autonomen Neuropathie.

Zukünftig wird die Analyse der HRV auch bei der Prävention und in der Stressmedizin an Bedeutung gewinnen. Im Rahmen der Beurteilung präventiver Maßnahmen werden HRV-Messungen die bisherigen Standard-Diagnose-Verfahren sinnvoll ergänzen. Damit sollen Risikopatienten bereits früher erkannt und zu Präventionsmaßnahmen wie Gewichtsreduktion, Sport oder Work-Life-Balance-Programmen
motiviert werden.

Sind die Zusammenhänge zwischen Depression, Herzrisiken und HRV einmal besser verstanden, wird die HRV auch wichtige Informationen für die Behandlung von psychosomatischen Störungen liefern können und eröffnet so weitere interessante, neue Möglichkeiten für die klinische Praxis.

Definition

Die Herzfrequenzvariabilität (HRV) quantifiziert den Grad der Schwankung in der Länge der Intervalle zwischen Herzschlägen [1].

Erklärung

Der Herzschlag eines gesunden, in Ruhe befindlichen Erwachsenen, liegt zwischen 50-90 Schlägen pro Minute. Eine Herzfrequenz von z. B. 60 bedeutet, dass die durchschnittliche Zeit von Schlag zu Schlag 1 Sekunde bzw. 1.000 Millisekunden (ms) beträgt.

Es ist eine bekannte Tatsache, dass bei einem gesunden Herzen - wie im obigen Beispiel - die Intervalle von Schlag zu Schlag leicht um die durchschnittliche Zeit von 1.000ms streuen, also etwas länger oder kürzer sind als exakt 1.000ms.

Der menschliche Körper reagiert auf interne und externe Einflüsse kontinuierlich mit physiologischen Veränderungen, die in permanenten Feinjustierungen des Herzschlagintervalls resultieren. Es wird als das RR-Intervall, das im EKG die Dauer zwischen zwei R-Zacken darstellt, gemessen. Die Quantifizierung und Analyse dieser spezifischen, individuellen Varianz der RR-Intervalle wird als Herzfrequenz-Variabilität (HRV) bezeichnet [1].

Biologischer Hintergrund

Das autonome Nervensystem besteht aus drei Komponenten: Sympathikus, Parasympathikus und Darmnervensystem. Die anatomischen und physiologischen Grundlagen der Herzfrequenzvariabilität bestimmen die Regulationsmechanismen des vegetativen (autonomen) Nervensystems - hier vornehmlich der parasympathischen und sympathischen Domänen.

Beide Domänen wirken antagonistisch: Der Sympathikus induziert anregende, leistungssteigernde (ergotrope Wirkung) Impulse, wohingegen der Parasympathikus eher Impulse zur Ruhe und Erholung (trophotrope Wirkung) sendet.

Die übergeordneten Zentren des Sympathikus sind der Hypothalamus und der Hirnstamm, deren Impulse auf die Wurzelzellen im Rückenmark übertragen werden. Von dort werden sie weiter auf die sympathischen Nervenzellansammlungen im peripheren Bereich der Wirbelsäule übertragen, die in Ihrer Gesamtheit als sympathischer Grenzstrang bezeichnet werden. Bei der Umschaltung der Neurone treten die Neurotransmitter Acetylcholin und Noradrenalin in Erscheinung. Daneben existieren weitere Axone, die direkt mit den Zielorganen in Verbindung stehen. Zielorgane und Zielgewebe sind in erster Linie die glatte Muskulatur, die Blutgefäße und verschiedene Drüsen.

Die übergeordneten Zentren des Parasympathikus liegen ebenfalls im Bereich des Hirnstamms, im sog. Kopfteil (Pars cephalica) und im sakralen Rückenmark. Anders als der Sympathikus ist der Parasympathikus morphologisch nicht selbständig, d.h. seine Fasern sind immer mit denen anderer Nerven assoziiert - teils mit denen der Hirnnerven, teils mit den Ästen des Sakralplexus.

Die Nerven des Parasympathikus innervieren u.a. die Speichel- und Tränendrüsen, Dickdarm, Harnblase und Genitalien. Die Erregungsumschaltung in den Zielorganen findet über den Neurotransmitter Acetylcholin statt. Die Innervierung des Herzens erfolgt über die parasympathischen Fasern des Nervus vagus, was eine Verringerung des Pulses und der Erregbarkeit des Herzens bewirkt.

Nachwievor bleiben die Erforschung der Anteile von Parasympathikus und Sympathikus und ihrer Wirkungen auf die HRV Gegenstand aktiver Forschung.

Abbildung 1 gibt schematisiert die Zusammenhänge, die zur Herzfrequenzvariabilität führen, wieder.

Abbildung 1: Entstehung der Herzfrequenzvariabilität (VNS -Vegetatives Nervensystem; SK - Sinusknoten); verändert nach [2]

Für die Erfassung und Messung der HRV wurden zeit- und frequenzbezogene Analysemethoden entwickelt, um einen Einblick in die autonome Regulation sowohl bei Gesundheit als auch im Krankheitsfalle zu erhalten.

HRV Analyse

Bei der Analyse der Herzfrequenzvariabilität ist es notwendig, zwischen zwei fundamental unterschiedlichen Zuständen bei Patienten zu unterschieden:

  1. Patienten mit intermittierendem (paroxysmalem) oder permanentem Vorhofflimmern
  2. Patienten ohne Vorhoffflimmern

Während bei Patienten ohne Vorhofflimmern ein normaler Sinusrhythmus erkennbar ist zeigen sich bei Patienten mit Vorhofflimmern typische Cluster im Streudiagramm (s. Abb. 2).

Abbildung 2: Streudiagramm einer Patientin mit intermittierendem Vorhofflimmern (Mit freundlicher Genehmigung von Dr. med. M. Potocki, Herzpraxis Limmattal, 8953 Dietikon, Schweiz)

Im Vergleich zu Patienten mit Vorhofflimmern ist bei solchen mit ungestörtem Sinusrhythmus eine klar definierte, keulenförmige Punktewolke zu sehen (siehe Abb. 3).

Abbildung 3: Patient mit ungestörtem Sinusrhythmus

Für die Analyse der HRV werden verschiedene Methoden angewendet. Die gängigsten sind Messung im Zeitbereich und im Frequenzbereich. Darüber hinaus gibt es auch geometrische Methoden, auf diese wird hier nicht weiter eingegangen. In beiden Verfahren werden die Intervalle aufeinanderfolgender Normalschläge aus einem kontinuierlichen EKG bestimmt. Nur ungestörte QRS-Komplexe sind für die Berechnung der HRV zulässig. Nicht normale Schläge, die bspw. durch atriale oder ventrikuläre Arrhythmien entstehen, sind ausgeschlossen.

Die zeitbezogenen Analyseparameter umfassen die deskriptiven, statistischen Analysen der RR-Intervalle. Die Methode basiert auf der Berechnung einfacher statistischer Größen wie der Standardabweichung. Diese sind zwar einfach zu berechnen, allerdings nicht geeignet, um die Verteilung des Einflusses von Sympathikus und Parasympathikus zu quantifizieren oder um Aussagen über die zeitliche Verteilung oder die Einflussstärke in den verschiedenen Bereichen des vegetativen Nervensystems zu treffen.

Eine einfach zu berechnende Variable der HRV ist die Standardabweichung der NN-Intervalle (= SDNN), das heißt, die Quadratwurzel der Varianz. Um aus den Messungen und Analysen valide Schlussfolgerungen ziehen zu können, ist es unangemessen, SDNN-Werte zu vergleichen, die aus Aufzeichnungen unterschiedlicher Dauer entstanden sind. Um vergleichbare und aussagekräftige SDNN-Werte (und andere Messwerte der HRV) zu erhalten, müssen standardisierte Verfahren verwendet werden [3].

Eine weitere statistische Größe, um eine Stichprobe aus einem Beobachtungszeitraum zu berechnen, ist die SDANN. Mit ihr wird die Standardabweichung der durchschnittlichen NN Abständen über kurze Zeiträume, in der Regel 5 Minuten, berechnet.

Ein weiteres Maß der zeitanalytischen Methoden ist die Berechnung der RMSSD - mit der die Differenzen zwischen den RR-Intervallen aufeinanderfolgender Herzschläge analysiert werden. Die RMSSD bildet die schnellen, kurzfristigen Variationen der Herzschlaggeschwindigkeit ab und ist das bekannteste und bewährteste zeitanalytische Maß zur Erfassung hochfrequenter Schlag-zu-Schlag-Variationen. RMSSD ist auch insofern ein guter Parameter der HRV, als das er nicht, wie die SDNN, die Standardabweichung vom Mittelwert einer Zeitperiode berechnet und damit auch Einflüssen dieser Zeitperiode unterliegt, sondern Schlag-zu-Schlag-Differenzen misst.

Weitere Maße der zeitanalytischen Verfahren sind NN50 (Anzahl der Intervalldifferenzen aufeinanderfolgender Intervalle, die größer als 50ms sind) und pNN50 (prozentualer Anteil der Intervalldifferenzen, die sich um mehr als 50 ms voneinander unterscheiden). Alle diese Messungen schätzen die kurzfristigen Schwankungen hochfrequenter Variationen der Herzfrequenz und sind hoch korreliert [2].

Die frequenzbezogenen Analyseparameter umfassen die verschiedenen spektralen Analysemethoden. Die wichtigste ist die Analyse der spektralen Leistungsdichte (PSD - als Funktion der Frequenz), die grundlegende Informationen darüber liefert, wie sich die Einflussstärken von Sympathikus und Parasympathikus verteilen.

Es gibt nicht-parametrische (z.B. Fast Fourier-Transformation - FFT) und parametrischen Methoden für die Berechnung der PSD und beide Verfahren liefern vergleichbare Ergebnisse. Ziel ist es, die Komponenten des HRV-Spektrums zu analysieren, d.h. den Anteil und die Verteilung von nieder- und hochfrequenten Komponenten.

Die drei wichtigsten Komponenten, die im Spektrum einer EKG-Aufzeichnung berechnet werden können sind: Die VLF- ("very low frequency"), LF- ("low frequency") und HF-Komponente ( "high frequency"). Die Einheiten betragen Millisekunden im Quadrat (ms2). Die Darstellung von LF und HF beschreibt die Ausgewogenheit bzw. die Einflussstärken der beiden Bereiche des autonomen Nervensystems. Mit den frequenzbezogenen Analysemethoden ist es sehr gut möglich, kurzfristige EKG-Aufnahmen (z. B. über 5 Minuten) genauso wie Langzeit-Aufzeichnungen (z.B. über einen Zeitraum von 24 Stunden) zu analysieren. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die wichtigsten Parameter der HRV.

Tabelle 1: HRV-Analyseparameter (in  custo diagnostic EKG-Modulen integriert)

 

 

custo diagnostic Module

Parameter

Beschreibung

Ruhe-
EKG

Stress- EKG

Holter EKG

Ausgewählte zeitbezogene Analyseparameter

 

 

 

RR (gesamt)

Gesamte Anzahl der Schlag-zu-Schlag-Intervalle (von R-Zacke zu R-Zacke), die während einer EKG-Aufzeichnung erfasst werden (äquivalent zu NN  - "normal to normal")

 

X

X

X

RR (analysiert)

Anzahl der RR Intervalle die für die HRV-Analyse in Betracht gezogen werden

 

X

X

X

SDNN

Standardabweichung aller gemessenen NN-Intervalle [ms]

 

X

X

X

SDANN

Standardabweichung des Mittelwertes der RR-Intervalle in allen 5 Minuten-Abschnitten der gesamten Aufzeichnung [ms]

 

X

X

X

RMSSD

(= Root Mean Square of Successive Differences [ms])

Der RMSSD-Wert repräsentiert die Quadratwurzel des quadratischen Mittelwertes der Summe aller Differenzen zwischen benachbarten NN-Intervallen. Ein erhöhter RMSSD-Wert korreliert mit vermehrter parasympathischer Aktivität

 

X

X

X

PNN50 (total)

Prozentsatz aufeinanderfolgender NN-Intervalle, die sich um mehr als 50ms voneinander unterscheiden.

Je größer der Anteil von PNN50 ist, desto stärker ist der Einfluss des parasympathischen Anteils. Geringe Werte weisen auf einen schwachen Einfluss und eine gewisse Starre der HRV hin.

X

X

X

 

 

 

 

 

Ausgewählte frequenzbezogene Analyseparameter (inkl. eines  geometrischen Parameters)

 

 

 

 

 

LF

Anteil des niedrigen Frequenzbereichs  (0,04-0,15 Hz) in Relation zum kompletten Spektrum. Spiegelt den sympathischen Einfluss wider.

 

X

X

X

HF

Anteil des hohen Frequenzbereichs  (0,15-0,40 Hz) in Relation zum kompletten Spektrum. Spiegelt den parasympathischen Einfluss wider (à Vagotonus) a

 

X

X

X

 

LF/HF Ratio

Ein Ausdruck der  "sympatho-vagalen Balance" b

 

X

X

 

Triangular Index

(geometrischer Para-meter)

Der Triangular-Index ist das Integral der Dichteverteilung (Anzahl aller NN-Intervalle dividiert durch das Maximum [Höhe] der Dichteverteilung. Graphisch werden alle NN-Intervalle auf einer diskreten Skala mit 1/128 Sekunden-Abständen aufgetragen. 

 

 

 

X

Streudiagramm

Hier: Poincaré Plot. Ein Poincaré Plot erster Ordnung repräsentiert im statistischen Sinne eine grafische Darstellung der Korrelation der RR-Reihe mit sich selbst nach Vorschub um ein RR-Intervall [4]

X

X

X

Bemerkungen:

a:  Hauptsächlich beeinflusst durch den Parasympathikus

b:  Die sympatho-vagale Balance spiegelt das Verhältnis von niederfrequenten Impulsen des sympathischen und den hochfrequenten Impulsen des parasympathischen NS wider. Der optimale Bereich während Ruhe liegt zwischen 0,5-2,0Hz. Aussagekräftige Interpretationen nur durch Aufnahme eines Langzeit-EKG machbar [5].

Diagnostische Relevanz

Die HRV ist als klinisches Werkzeug für die Beurteilung von kardialen, autonomen Veränderungen bei Patienten weit akzeptiert. Das Ungleichgewicht in der Einflussstärke zwischen Sympathikus und Parasympathikus spielt eine wichtige Rolle bei der Entstehung und der klinischen Manifestation von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Auch wenn die Werte der HRV zahlreichen variablen Einflüssen unterliegen, ist es hilfreich zumindest Anhaltspunkte für die Normwerte und deren Schwankungsbreiten zu erhalten. Einen Hinweis für die wichtigsten Normwerte liefert Tabelle 2 [6].

Tabelle 2: Normalwerte der Herzfrequenzvariabilität [6]

Parameter

Dimension

Normalwert (Mittelwert und SD)

Zeitbezogene Größen, 24-Stunden-Analyse

SDNN

millisec

   141  ± 139

SDANN

millisec

  127  ±   35

RMSSD

millisec

  27   ±  12

Triangular Index

 

  37   ±  15

Spektralanalyse, 5 Minuten Aufzeichnung im Liegen

Gesamtverteilung

millisec2

3466  ±  1018

LF

millisec2

1170  ±   416

HF

millisec2

  975  ±   203

LF norm

nunorm

54   ±    4

HF norm

nunorm

29   ±    3

LF / HF Quotient

 

1,5 - 2,0

Abkürzungen:
millisec: Millisekunden
nunorm: normalisierte Einheit (engl. normalized unit: nu), d.h. prozentuale Angabe der HF- bzw. LF-Werte.

Die Berücksichtigung der Herzfrequenzvariabilität ist bereits seit Jahren in der klinischen und intensivmedizinischen Diagnostik im Bereich der Kardiologie, aber auch in weiteren medizinischen Fachdisziplinen etabliert. Der diagnostische Nutzen der Herzfrequenzvariabilität erstreckt sich dabei von der Früherkennung und Prognosebeurteilung pathologischer Prozesse bis hin zur Abschätzung des Sterberisikos nach akuten Ereignissen, wie z.B. nach Myokardinfarkt oder nach Schlaganfall [4]. Im Allgemeinen gilt, dass Menschen, die eine hohe HRV zeigen, als gesünder oder fitter eingestuft werden als Personen mit geringerer HRV.

Es ist bekannt, dass eine geringe HRV mit einer sich verschlechternden Prognose bei einer Vielzahl von Erkrankungen des kardiovaskulären Systems, wie Herzinfarkt oder Herzinsuffizienz korreliert.

Zu berücksichtigen ist dabei, dass die HRV ein hochgradig individueller Parameter ist, der von zahlreichen Faktoren abhängt: Alter, Geschlecht, physische Fitness und Aktivität beeinflussen die HRV genauso wie Medikamenten-, Alkohol- und Nikotinkonsum. Selbst Schlafmangel, Erschöpfung, akute Infektionen oder chronische Erkrankungen manifestieren sich in einer veränderten HRV. Dauerhafte Stresssituationen können zu erheblichen Gesundheitsstörungen wie Herzkrankheiten, Depressionen oder zu Neuropathien führen. Eine geringe Variabilität der Herzfrequenz stellt in diesem Kontext einen Indikator für die hohe Belastung des Herz-Kreislauf-Systems durch physischen oder psychischen Stress dar.

Ältere Menschen haben i.d.R. eine geringere Varianz in beiden Spektren (HF und LF), unterscheiden sich aber im Verhältnis von LF zu HF (LF/HF-Ratio) nicht signifikant von jüngeren Menschen. Alle kardialen Parameter, die von der sympatho-vagalen Balance abhängen, nehmen mit steigendem Alter ab. Frauen zeigen eine stärke parasympathisch induzierte Regulation der Herzfrequenz als Männer, was sich in höheren Werten bei HF und pNN50 und in reduzierter LF niederschlägt [7]. Auf der anderen Seite ist die Varianz im LF-Spektrum bei Männern aufgrund einer dominierenden, sympathischen Steuerung der kardialen Funktionen höher als bei Frauen. Da aber die altersbedingte Reduktion der HRV tendenziell bei Männern stärker ausgeprägt ist als bei Frauen, heben sich die geschlechtsspezifischen Unterschiede mit zunehmendem Alter (ab ca. 55 Jahren) auf [7].

Ein weiterer Faktor, der die Variabilität der Herzfrequenz beeinflusst,  ist die Synchronität mit der Atmung - eine Steigerung während des Einatmens und eine Abnahme während der Ausatmung - die sog. respiratorische Sinusarrhythmie (RSA).

Es wird angenommen, dass sie Änderungen der kardialen, autonomen Regulation reflektieren und mit der räumlichen Nähe und engen Verknüpfung der Nervenzentren im ZNS begründet sind, welche die Atmung und die Herzaktivität regulieren.

Eine Vielzahl kardiovaskulärer Risikofaktoren und Krankheiten zeigen eine Reduktion der HRV ein-schließlich Diabetes, Rauchen, Übergewicht, Bluthochdruck und Herzinsuffizienz [8].

Kleiger et al. (1987 - zitiert nach [5]) stellt fest, dass diejenigen Herzinfarktpatienten, deren HRV am geringsten war das größte Mortalitätsrisiko aufwiesen. Das relative Sterblichkeitsrisiko war bei Patienten mit einer HRV (SDNN) kleiner 50ms bis zu 5,3-mal größer als bei Patienten mit größerer Variabilität (SDNN >100ms). In Übereinstimmung mit Kleiger et al. (1987- zitiert nach [5]), fanden Singh et al. (1996), dass eine HRV-Analyse, die aus einem Aufzeichnungsintervall von 1h resultiert, bessere prognostische Aussagen für die Abschätzung des Mortalitätsrisikos liefert als eine Aufzeichnung, bei der eine 24 Stunden-Aufnahme zugrunde liegt [10].

Neben der Verwendung der HRV-Analyse zur Risikostratifizierung in der klinischen Kardiologie ist sie auch für die klinische Beurteilung von Diabetes-Patienten geeignet, besonders wenn diese Gefahr laufen, eine kardiovaskuläre autonome Neuropathie (KAN) zu erwerben. Ein frühes Anzeichen einer KAN bei Diabetikern ist eine verminderte HRV sowie ein verlängertes QTc-Intervall, das auch ein guter Indikator für die Diagnose einer subklinischen autonomen Dysfunktion sein kann und damit eine erhöhtes kardiovaskulären Risiko darstellt [11].

Zentai (2010) stellte in einer populationsbasierten Querschnittstudie einen Zusammenhang zwischen reduzierter HRV und Diabetes sowie bei Männern einen Zusammenhang zwischen Adipositas und autonomer Dysfunktion fest. Der Autor folgert daraus einen selektiven, geschlechtsspezifischen Unterschied der verschiedenen kardiovaskulären Risikofaktoren im Bezug auf ihren Einfluss auf die autonome Funktion. Eine kardiale autonome Dysfunktion korrespondiert mit reduzierter HRV und einer verlängerten QTc-Zeit und resultiert insbesondere bei Diabetes mit gesteigerter Mortalität. Zentai (2010) schlägt daher vor, die Parameter HRV und QTc-Zeit verstärkt zur Risikostratifizierung in der klinischen Praxis einzusetzen [9].  Die Regulation des Blutdrucks wird genauso wie die Entstehung einer Hypertonie vom autonomen Nervensystem beeinflusst. Bei Patienten mit Bluthochdruck zeigen alle HRV-Indizes (außer LF/HF-Ratio) eine signifikante Reduktion im Vergleich zur Kontrollgruppe [8].

In der Sportwissenschaft ist die Verwendung der Herzfrequenzvariabilität als Instrument zur Trainingssteuerung längst etabliert, bspw. bei der optimalen Bestimmung des Zeitpunkts eines Phasenwechsels von Belastung zur Regeneration [4, 12]. Gegenstand aktueller Forschung ist die Evaluation der HRV als Indikator zur Abschätzung psychischer oder mentaler Stresslevels bei Probanden [12].

Zukünftig wird die Verwendung von HRV-Analysen bei Prävention und in der Stress-Medizin bedeutender werden. HRV-Messungen werden im Rahmen einer gesundheitlich positiven Verhaltenssteuerung bspw. bei Präventionsprogrammen eine sinnvolle Ergänzung zu Standardverfahren sein, um Patienten früher als bisher zu einem gesünderen Lebensstil zu bewegen. Wenn die Zusammenhänge zwischen Depression, Herzrisiko und HRV besser verstanden sind, wird die HRV auch hier wichtige Informationen für die Behandlung von psychosomatischen Störungen liefern, und einige interessante, neue Möglichkeiten für die Praxis eröffnen [5, 13, 14].

Zusammenfassend kann die Herzfrequenzvariabilität in der täglichen klinischen Praxis bei folgenden Aspekten verwendet werden:

  • Zur Risikostratifizierung bei Patienten nach Myokardinfarkt
  • Zur Risikostratifizierung bei Diabetes-Patienten, um eine drohende kardio-vaskuläre autonome Neuropathie abzuschätzen
  • Um den Grad der individuellen körperlichen Fitness und die Fähigkeit zur Stressbewältigung einzuschätzen
  • Als Frühwarnsignal bei der Entwicklung pathologischer Prozesse oder bei Funktionsstörungen des autonomen Nervensystems
  • Um die Wirksamkeit einer Herz-Kreislauf-Behandlung zu prognostizieren
  • Um die Wirksamkeit von Entspannungstherapien (Massage, Bewegung, Meditation, Lichttherapie, etc.) zu überprüfen
  • Um Hinweise bei der Auswahl von Medikamenten, Dosierungen und Therapien zu erhalten
  • Als Hilfsmittel beim Beginn und der Durchführung bei Befragungen von stark defensiven Patienten mit stress-induzierten, psychologischen Problemen

Erfassung und Analyse der Herzfrequenzvariabilität mit custo diagnostic

Die Software custo diagnostic bietet in allen EKG-Modulen die Möglichkeit der HRV-Analyse - zeit- als auch frequenzbezogen. Es können verschiedene Zeiträume z.B. 24 Stunden, Tag-Nacht-Phasen, oder ein definierter Zeitrahmen von z.B. 5 Minuten bis zu mehreren Stunden gewählt werden.

Nach der Auswahl des Menüpunkts "RR Variabilität" im Menü "Optionen" wird ein in zwei Bereiche unterteilter Bildschirm angezeigt, der die Kombination verschiedener Ansichten ermöglicht. Es können entweder Diagramme wie "Histogramm" oder "FFT" (Fast Fourier Transformation) bzw. ein Diagramm mit einer Wertetabelle oder einem Auszug aus dem EKG kombiniert werden.

In der Tabelle werden auswahlabhängig verschiedene Parameter der HRV-Analyse angezeigt wie SD, SDANN5, RMSSD usw. (siehe auch Tabelle 1). Alle Parameter können ausgewählt, dargestellt und miteinander verglichen werden. Wird die FFT-Darstellung ausgewählt, können die Frequenzspektren in Intervallen von 0-10ms, 0-20ms und 0-40ms angezeigt werden. Dies kann für alle Zeitperioden durchgeführt werden (siehe zur Verdeutlichung auch Abbildungen 2-5).

Bei der Auswahl "EKG/Tabelle" ist es in der EKG-Ansicht möglich, entweder "RR ms" oder "HF" zu wählen. Wird im oberen Bildschirm das Histogramm dargestellt und im unteren Teil des Bildschirms das EKG angezeigt, kann mit dem Marker jeder beliebige Zeitpunkt ausgewählt werden und die korrespondierenden Bereiche werden in beiden Darstellungen angezeigt (siehe Abbildung 4).

Es ist möglich, jede Grafik und jede Tabelle miteinander zu kombinieren: Beispielsweise kann das Diagramm "FFT" (Bildschirminhalt oben) und "Tabelle" (Bildschirminhalt unten) gewählt werden und der Nutzer erhält sofort alle analysierten Parameter (z.B. RR gesamt, SD, LF% usw.). Es kann außerdem der Betrachtungszeitraum variiert werden - von 1 Stunde bis zu 24 und die dem Zeitraum entsprechenden Werte sind im rechten Teil der Tabelle zu finden.

Abbildung 4: Histogramm (oben) und EKG-Ausschnitt (unten) einer HRV Analyse

Im Menü "Optionen" unter dem Menüpunkt "Parameter" können nach Klick auf den Button "RR-Variabilität" ("Optionen" à "Parameter" à "RR-Variabilität") verschiedene Ausschlusskriterien sowie deren Grenzbereiche festgelegt werden. Es können alle Daten herausgefiltert werden, die eine sinnvolle HRV-Analyse stören würden.

Dies können Artefakte oder pathologische Ereignisse sein. Diese Werte bilden die Basis für die weitere Berechnung der Indizes und Graphen der HRV-Analyse. Beispielsweise können maximal zulässige Abweichungen in Prozent eines RR-Intervalls definiert werden. Wenn zum Beispiel der prozentuale Wert auf 20% gesetzt wird, werden alle Schläge mit einer Abweichung von mehr als 20% nicht in der Berechnung berücksichtigt werden.

Ferner lassen sich die Auswahl der Fensterfunktion (Hamming, Bartlett, etc.), die Filter der Fourier-Transformation, die Art der Berechnung bei der Spektralanalyse und weitere Größen definieren und einstellen. Möchte man die ursprünglichen Voreinstellungen wieder verwenden, steht der Button "Werkseinstellungen setzen" zur Verfügung.

So können alle pathologischen Ereignisse und Artefakte auch manuell ausgeschlossen werden. Der Benutzer kann die Anzeige des Ergebnisses der FFT (Fast Fourier Transformation) festlegen. Es existieren zwei Möglichkeiten: Entweder es wird die Darstellung PSD (Dichte des Leistungsspektrums) oder die Darstellung ABS (absolute Höhe) gewählt - siehe Abbildung 5.

Abbildung 5: FFT Diagramm und Wertetabelle einer HRV-Analyse

Quellenangaben

[1]        Malik M., Camm A. J. (eds). (1995): Heart Rate Variability. Armonk, NY: Futura Pub. Co. Inc. Citation in: Buccelletti, F., Gilardi, E., SCaini, E., Galuito, L., Persiani, R., Biondi, A., Basile, F. & N. Gentiloni Silveri (2009): Heart rate variability and myocardial infarction: systematic literature review and meta-analysis. European Review for Medical and Pharmacological Sciences, 13: 299-307

[2]        Heart Rate Variability Analysis System. Medicore. [online verfügbar: http://medi-core.com /download/HRV_clinical_manual_ver3.0.pdf (19.07.2013)].

[3]        Task Force of the European Society of Cardiology the North American Society of Pacing Electrophysiology (1996): Heart Rate Variability - Standards of Measurement, Physiological Interpretation, and Clinical Use. Circulation (93): 1043-1065

[4]        Horn, A. (2003): Diagnostik der Herzfrequenzvariabilität in der Sportmedizin - Rahmenbedingungen und methodische Grundlagen. Dissertation Ruhr-Universität Bochum. 293S. [online verfügbar: http://www-brs.ub.ruhr-uni-bochum.de/netahtml/HSS/Diss/HornAndrea/diss.pdf - 08.07. 2013]

[5]        Billmann, G.E. (2011): Heart rate variability – a historical perspective. Frontiers in Physiology, 2 (86): 1-13. [online verfügbar: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3225923/  (19.07.2013)].

[6]        Löllgen, H. (1999): Herzfrequenzvariabilität. Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 31-32. 9. August 1999 (45): A-2029-2032.

[7]        Nolan, J., Batin, P.D., Andrews, R., Lindsay, S.J., Brooksby, P., Mullen, M., Baig, W., Flapan, A.D., Cowley, A., Prescott, R.J. Neilson, J.M. Fox, K.A. (1998): Prospective study of heart rate variability and mortality in chronic heart failure: results of the United Kingdom heart failure evaluation and assessment of risk trial (UK-heart). Circulation 98, 1510-1516.

[8]        Ferrière, A. (2008): Zusammenhang zwischen der kardialen autonomen Neuropathie und linksventrikulären Masse bei Typ 2-Diabetes. Dissertation Ruhr-Universität Bochum. 97 Seiten.

[9]        Zentai, C. (2010): Stellenwert der Herzfrequenzvariabilität, QTc-Dauer und QT-Dispersion als Prädiktoren des Mortalitätsrisikos bei Diabetikern und Nicht-Diabetikern. MONICA/KORA Augsburg Kohorten-Studie. Dissertation Heinrich Heine Universität Düsseldorf. [ online verfügbar: http://www.pulse7.at/assets/Publications/Zentai.pdf - 08.07. 2013]

[10]      Singh, N., Mironov, D., Armstrong, P.W., Ross, A.M., Langer, A. (1996): Heart rate variability assessment early after acute myocardial infarction. Pathophysiological and prognostic correlates. Circulation (93): 1388-1395.

[11]      Krahulec, B., Mikes, Z., and Balazovjech, I. (2002): The effect of cardiovascular autonomic neuropathy on resting ECG in type 1 diabetic patients. Bratislavske Lekarske Listy (Bratislava Medical Journal) 103 (2): 54-5

 [12]     Hottenrott, Hoos & Esperer [Hrsg] (2011): Herzfrequenzvariabilität: Gesundheitsförderung – Trainingssteuerung – Biofeedback. Schriften der dvs. Band 214. Hamburg: Edition Czwalina. 232 Seiten.

[13]      Nabi, H., Kivimäki, M., Empana, J.P., Sabia, S., Britton, A., Marmot, M.G., Shipley, M.J., Singh-Manoux, A. (2011): Combined effects of depressive symptoms and resting heart rate on mortality: The Whitehall II Prospective Cohort Study. Journal of Clinical Psychiatry, 72 (9): 1199-1206.

[14]      Gao, J., Gurbaxani, B.M., Hu, J., Heilman, K.J.,.Emanuele, V.A., Lewis. G.F., Davila, M., Unger, E.R., Lin, J.-M. S. (2013): Multiscale analysis of heart rate variability in non-stationary environments. Frontiers in Physiology, 4(119): 1-8.


 

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